Fragen zum Migrationsland Schweiz, aber wie?

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Das Projektteam dreht den Spiess um und macht sich selbst zur Ausgangslage in seinem Vorhaben, das Migrationsland Schweiz zu beleuchten. Der Selbstreflexion – insbesondere im Angesicht aktueller globaler Entwicklungen – kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu.

Nadia Pettanice, Brit Hartmann und Duygu Dogru (v.l.n.r.) am Diskutieren
Nadia Pettanice, Brit Hartmann und Duygu Dogru (v.l.n.r.) am Diskutieren

Wie macht man das Migrationsland Schweiz in Winterthur sichtbar? Ganz einfach: Man befragt interessante Persönlichkeiten und stellt die Porträts an einem öffentlichen Ort aus. Diese Gedanken schlummerten vermutlich in einigen Köpfen des Projektteams, als dieses am 28. März zusammenkam, um die ersten Ideen der Arbeitsgruppe «Migrationsland Schweiz» weiter zu entwickeln. Allerdings entpuppte sich der Abend als ein grosses Rätseln rund um Themen wie Gemeinschaft, Engagement und Identität und vor allem um die Frage, wie wir uns der Bevölkerung annähern sollten.

Die Arbeitsgruppe «Migrationsland Schweiz» sprach zunächst das Bedürfnis aus, Erzählungen und Äusserungen zur Migration aus dem Stadtteil Wülflingen Raum zu geben. Die Sensibilisierung auf die Vielfalt an persönlichen Geschichten und Haltungen würde mehr Berührungspunkte zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund schaffen und zu mehr gegenseitigem Verständnis führen. Ob Bild oder Ton, Porträt oder Abbild eines Objekts – es gäbe verschiedene Formate, die alle sicherlich ein eindrückliches Zeugnis ablegten. Doch wie konnten wir solch eine Interviewsituation herbeirufen? Mit wem würden wir ins Gespräch kommen? Und vor allem: Hatten Migrant:innen nicht längstens die Nase voll davon, als Aushängeschild für Diversität angesehen und auf ihr Herkunftsland reduziert zu werden?

Ein Team von zehn Mitgliedern brauchte in diesem Kontext zweifellos ein Konzept, eine Art Wegweiser, um sich beim Vorhaben nicht gegenseitig aus den Augen zu verlieren oder die Interviews inhaltlich nicht zu weit abschweifen zu lassen. Aber gerade dieses Anliegen schien sich mit dem Anspruch, unsere Interviewpartner:innen nicht als homogene Datenfässer wahrzunehmen, nur schwer zu vereinbaren. Bald leuchtete es allen ein: Das vorwiegend persönliche Thema Migration musste durch den mit einer kollektiven Note versehenen Demokratiegedanken abgelöst werden. Gerade der aktuelle Krieg in der Ukraine schärft unser Bewusstsein über unser Zusammenleben in einem demokratischen Staat und darüber, was eigentlich verloren ginge, wenn die Demokratie gefährdet würde. Auf diesem Weg würden wir auch unserer Leitfrage im Projekt, nämlich jener nach dem mehr oder minder ausgeprägten Impuls für die politische Beteiligung von Schweizer:innen mit Migrationshintergrund, ein Stück näher heranrücken. Interviewfragen wie «Wo siehst du deinen Beitrag zur lokalen Politik?» oder «Wie beobachtest du die Zukunft der Demokratie?» schienen nach längerem Überlegen ein vielsprechender Ansatz zu sein.

Rückblickend war der Sitzungsabend anfänglich von einer Unsicherheit über die anzuwendende Methode geprägt. Dieses Unbehagen kann jedoch gleichzeitig als fruchtbarer Wendepunkt in unserer Kollaboration verstanden werden, was uns eine neue Perspektive auf unsere Arbeit geben könnte. Das Streben danach, «Anekdoten der Diversität» unter Migrant:innen zu beleuchten, mag uns zeitweise in eine Sackgasse führen. Vielleicht haben wir diese ‘Diversität’ förmlich am falschen Ort gesucht? Vielleicht geht es vielmehr darum, zuerst den Spiegel zu uns selbst zu richten und nach Fragen zu suchen, die uns ein unvoreingenommenes Vorgehen erlaubt? Wir könnten uns selbst fragen: Als wer trete ich in den Interviewbegegnungen auf – mit welchen Absichten und Überzeugungen? Was veranlasst mich auf der persönlichen Ebene, gerade meinem Gegenüber Fragen über Migration und Demokratie zu stellen?

Es sind viele Fragen, die wir uns nach dieser Sitzung im Projektteam stellen, doch nur so erhalten wir den Lernprozess, den wir gemeinsam entfacht haben, aufrecht. Die Zeit und einige experimentelle Begegnungen werden zeigen, wie wir uns selbst antworten, bevor wir Andere zum Antworten auffordern.