"Das Thema Demokratie und Migration ist ein wachsendes Feld"

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Im zweiten Teil unseres Gesprächs mit Bettina Stefanini spricht die Stiftungsratspräsidentin der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) über ihre Beweggründe, dem Beirat unseres Projektes anzugehören, über Klimaveränderungen und darüber, wie sehr die Demokratie in Zukunft gefordert sein wird. Um die partizipative Kulturförderung des Kultur Komitees – noch in den Kinderschuhen- geht es ausserdem. (Lesen Sie auch Folge 1 vom 23. November 2021)

Der Beirat von Demokratie und Migration in Winterthur (v.l.n.r.) Walter Schmid, Ursula Gut, Monika Imhof, Bettina Stefanini, Laurent Bernhard
Der Beirat von Demokratie und Migration in Winterthur (v.l.n.r.) Walter Schmid, Ursula Gut, Monika Imhof, Bettina Stefanini, Laurent Bernhard

Folge 2

Wer fördert entscheidet, was gemacht wird, was wachsen darf und was stattfindet. Also was ist die Absicht hinter Kultur Komitee?

Als Stiftung haben wir uns einen relativ engen Schwerpunkt gesetzt und damit schliessen wir sehr viel aus. Mit dem Projekt Kultur Komitee wird der Schirm nochmals geöffnet. Deutlich mehr Projekte können so gefördert werden. Winterthur ist die Heimat der Stiftung. Lokale Förderung steht bei diesem Projekt im Vordergrund. Was ist eigentlich förderungswürdiges Kulturgut oder was ist eigentlich Kultur und für wen ist diese Kultur, was ist Kulturerbe? Für mich persönlich ist die Auseinandersetzung mit diesen Fragen sehr aufschlussreich. Mit diesen Fragen wird sich auch das Gremium auseinandersetzen müssen. Es ist quasi der gleiche Lehrgang, in dem ich mich immer noch mittendrin bewege. Was ist wichtig in der Kultur?

Also auch ein sehr persönlicher Zugang.

Ja. Wie definiere ich Kultur für mich? Wo liegen die Schwierigkeiten, wenn ich etwas beurteilen muss? Es ist doch immer gut, auch als Fussgänger mal hinter dem Steuer zu sitzen. Diesen Rollenwechsel meine ich.

Partizipation und Verantwortung sind auch Themen von Demokratie und Migration. Ihre Visionen für mehr Demokratie?

Nein, eigentlich keine. Aus meinem eigenen Erfahrungsbereich scheint es mir, die Grösse der demokratischen Einheit habe sehr viel Einfluss. Wie gross ist das politische Feld, wo ich mich engagiere. Sind die Stufen zwischen mir und den höchsten politischen Ämtern relativ kurze Wege, das habe ich in Irland erlebt und hier passiert etwas sehr Ähnliches, dann fühle ich mich wirksam. Das scheint mir ein sehr grosser Unterschied zu sein zu einem Land, dass ein Vielfaches an Bevölkerung hat. Alle Entscheidungswege sind dann viel länger und nicht so offensichtlich.

Und auf der anderen Seite haben wir natürlich einen politischen Stand, der enorm gebildet ist und wo der Vorwurf in Raum steht, dass er den Bezug zu den Lohnempfängern verloren hat. In der politischen Beteiligung haben wir natürlich in den 50er Jahren besser abgeschnitten, wenn man die Frauen beiseitelässt.

Wie wird die Arbeit der Stiftung von anderen verwandten Institutionen wahrgenommen?

Wir bekommen viele positive Rückmeldungen. Im Sinne von, dass endlich etwas aufgerüttelt wird, dass man neue Wege beschreitet, dass man sich traut, aus der Schale zu kriechen. Aber was kommt auf uns zu, wenn wir plötzlich das grosse Mädel auf dem Pausenplatz sind?

Da sind wir eigentlich wieder bei der Aufbruchsstimmung.

Das ist wirklich so, wir ziehen mit diesem Start enorm kreative Köpfe an. So vieles ist im Prozess. Wir haben unser Rezept noch nicht gefunden. Wir generieren Prototypen. Und arbeiten an Optionen für die Praxis. Das sind alles grosse Aufgaben und eine Riesenchance. Wir sind noch sehr am Anfang und da gebührt es uns auch, dass wir etwas ausprobieren, dass wir mutig sind.

Die Stiftung plant in Neuhegi am Eulachpark ihren Standort aufzubauen.

Also ich muss gestehen, dass ich beim ersten Anlauf skeptisch war. Mich hat es eher in Richtung Altstadt oder Sulzerareal getrieben. Mittlerweile habe ich meine Vorurteile gegen diesen Satelliten abgebaut und ich freue mich sehr, dorthin zu gehen. Aus städtebaulicher Sicht muss sich da sicher noch einiges entwickeln.

Warum gehören Sie dem Beirat von Demokratie und Migration an?

Ich nenne es Andersschichtigkeit. Das ist bei mir eine emotionale Bindung an dieses Thema. Meine Mutter hat sich getrennt von meinem Vater, als ich noch nicht 6 Jahre alt war. Wir zogen nach Bern. Unsere Wohnung war noch nicht parat, wir mussten während einigen Wochen in einem Hotel leben, aus dem Koffer. Und mir ist das irgendwie unter die Haut gegangen, die Unsicherheit über die Zukunft nehme ich an. Seither habe ich eine emotionale Brücke zu Migranten. Meine Wanderungen zwischen Bern, Winterthur, Lausanne, Irland, Berlin verliefen immer in der Gewissheit, dass ich auf meinen eigenen Wegen nie dort gelandet bin, wo man mich lieber nicht wollte. Aber es ist für mich einfach klar, ich könnte auch auf der anderen Seite des Spiegels stehen.

Ein anderer Punkt: Ich habe meine Doktorarbeit über Klimaveränderungen geschrieben. Einige sehr dicht besiedelte Gebiete in Küstennähe werden wahrscheinlich noch zu unseren Lebzeiten unter Wasser stehen. Grosse Bevölkerungszentren, die heute gut von ihrer Landwirtschaft leben können, sind gefährdet, wenn Monsunregen aussetzen. Enorme Verschiebungen im Geopolitischen könnten uns bevorstehen. Das ist ein Teil der Migration, von dem ich annehme, dass er in den nächsten Jahrzehnten sehr stark auf unsere Demokratien, auf unser Gefüge einwirken wird.

Von Wirtschaftsflüchtlingen wird besonders abwertend gesprochen.

Klimaveränderung und Migration bedingen einander stark. Wenn wir für das eine Problem keine gute Lösung finden, dann stehen wir auch beim anderen vor Konflikten. Ressourcenknappheit wird zunehmend unser Leben auf dieser Erde bestimmen, denken wir an die Fischbestände oder an das Trinkwasser. Böden verlieren ihre Fruchtbarkeit durch Erosion. Das Thema Demokratie und Migration ist ein wachsendes Feld.

Und dieser ganze Populismus, dem wir da begegnen?

Der ist normal. Wir sind in der Linie der Menschenaffen und die sind sehr territorial. Wenn wir von den Delfinen abstammen würden, dann wäre das eine ganz andere Geschichte. (lacht) Entschuldigung, da kommt die Naturwissenschaftlerin!

 

mehr Informationen über Kultur Komitee hier